Rechtliche Folgen des Haarausfalls

Abstruser Gedanke? – Weit gefehlt.

Im Jahre 2002 hatte sich der Bundesgerichtshof in einer Zivilsache mit genau diesem Problem zu befassen (Urteil vom 24.09.2002 I ZR 101/00).

Worum es ging? Juristen beschreiben dies in einem Tatbestand: Zwei Wettbewerber, die ihr Geld mit kosmetischer Haarchirurgie (Haarwurzelverpflanzung) verdienten, waren aneinander geraten.

Sie stritten darüber, ob eine Werbung mit der bildlichen Darstellung von Personen vor und nach einer Eigenhaarverpflanzung gegen § 11 Abs. 1 Nr. 5 lit. b HWG verstößt. (HWG? Vollzitat: Heilmittelgesetz in der Fassung der Bekanntmachung vom 19. Oktober 1994 BGBl. I S. 3086, das zuletzt durch Artikel 2 des Gestzes vom 26. April 2006 BGBl. I S. 984 geändert worden ist, Kurzzitat: Gesetz über die Werbung auf dem Gebiet des Heilwesens, oder einfach: Heilmittelwerbegesetz).

Die Klägerin meinte, die Abbildungen seien wettbewerbswidrig, weil die erblich bedingte Glatze des Mannes (androgenetische Alopezie) aus medizinischer Sicht als Krankheit anzusehen sei, zumindest handele es sich dabei um einen Körperschaden, weil eine dauernde Abweichung von der normalen körperlichen Beschaffenheit vorliege, die weder als Krankheit noch als Leiden empfunden werde. Nach der oben zitierten Bestimmung des HWG ist außerhalb der Fachkreise verboten, bei Verfahren oder Behandlungen zu werben mit der bildlichen Darstellung des Verfahrens oder der Behandlung.

Die Beklagte meinte, die genetisch bedingte Männerglatze sei weder eine Krankheit noch ein Körperschaden, sondern eine völlig natürliche und übliche Erscheinungs-form der Kopfhaut des Mannes.

Das Landgericht hat die Klage abgewiesen, weil nach seiner Ansicht der erblich bedingte Haarausfall des Mannes aus medizinischer Sicht weder eine Krankheit noch ein Körperschaden im Sinne des § 1 Abs. 1 Nr, 2 HWG ist und deswegen dieses Gesetz überhaupt nicht anzuwenden ist.

In der Revision gab der BGH dem Landgericht mit ausführlicher Begründung recht. Eigene Entscheidungen und verschiedene Literaturfundstellen zitierend erklärte der BGH zunächst, was eine Krankheit ist: Eine auch nur unerhebliche oder vorübergehende Störung der normalen Beschaffenheit oder der normalen Tätigkeit des Körpers, die geheilt werden kann. Konsequenz: Da anlagebedingter Haarausfall nicht geheilt werden kann, ist er keine Krankheit. Weiter meint der BGH, dass genetisch bedingter Haarausfall auch kein Körperschaden ist, weil es durch den Verlust von Kopfhaaren aus medizinischer und biologischer Sicht zu keiner unmittelbaren Schädigung des Körpers kommt.

Sachverständige haben in einem eingeholten Gutachten dargelegt, dass es sich nach heutigen Erkenntnissen bei dem erblich bedingten Haarausfall aus medizinischer Sicht nicht um eine Krankheit, sondern um ein sekundäres männliches G e s c h l e c h t s m e r k m a l handelt.

Hoppla, denkt man da nicht gleich an Exhibitionismus, schließlich tragen Männer ihr Glatze offen zur Schau. Das allein genügt aber aus mehreren Gründen nicht. § 183 Strafgesetzbuch verlangt, dass eine andere Person durch die exhibitionistische Handlung eines Mannes belästigt wird. In speziellen Fällen kann darin auch ein Missbrauch von Kindern, § 176 Abs. 4 StGB oder Schutzbefohlenen, § 174 StGB oder schlicht eine Ordnungswidrigkeit , § 118 OWiG gesehen werden.

Elementar für den Straftatbestand ist die Belästigung einer anderen Person durch die exhibitionistische Handlung. Eine Belästigung ist nicht gegeben, wenn die Reaktion des oder der Betroffenen Interesse, Verwunderung oder Mitleid ist. Ich selbst als Glatzenträger wurde wegen dieses sekundären Geschlechtsmerkmals noch nie bewundert, noch nie hat jemand daran besonderes Interesse gezeigt und ich habe noch nie gespürt, dass mich deswegen jemand bemitleidet, allenfalls konnte ich den einen oder anderen Witz (besser eine Glatze als gar keine Haare etc.) als Spott auffassen. Jedenfalls hat sich noch nie jemand als belästigt darüber beschwert, dass ich mein blankes Haupt nicht bedeckt hatte.

Meine Leidensgenossen dürften also beruhigt weiter ohne Kopfbedeckung herumlaufen, es sei denn, dies sei aus religiösen, folkloristischen, sportlichen, beruflichen, gesundheitlichen oder sonstigen Gründen erforderlich.

Ich kann natürlich nicht alle rechtlichen Folgen des genetisch bedingte Haarausfalls darstelle, wollte aber nur darauf hinweisen, dass es solche gibt, mit so großem Gewicht, dass sogar unsere höchsten Zivilrichter damit befasst werden.


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