Notdurft

Das Thüringer Oberlandesgericht hat sich in einem Urteil vom 10.11.2009 mit einer Entscheidung des Landgerichts Erfurt beschäftigt, in der es um die Frage ging, wann es sich bei der Notdurftverrichtung (das Wort stammt nicht von mir, es steht in der Entscheidung, wie weitere Formulierungen im folgenden Text, z.B. nicht unüblicherweise, solche Redewendungen gebrauche ich üblicherweise nicht, es sind Zitate) um eine strafbare Handlung handelt (diese Wortkombination steht ebenfalls in der Entscheidung).

Auch hier greift der/die Richter/in des Landgerichts Erfurt wieder auf die allgemeine Lebenserfahrung (siehe Fußwaschung, Reiseverkehr, Brunftschrei, analog - digital und Hundegebiss) zurück: Erfahrungsgemäß würden Verkehrsteilnehmer nicht unüblicherweise ihre Notdurft in geschützter Lage verrichten wollen.

Sachverhalt:

Der Kläger befuhr eine Bundesstraße, als ihn ein dringendes menschliches Bedürfnis ereilte. Er bog von der Straße ab und fuhr eine nicht unerhebliche Strecke auf einem Feldweg um zum Grundstück der Beklagten und einer dort von dieser errichteten Strohballenanlage zu gelangen. Dort stieg er aus dem PKW aus, begab sich auf das Grundstück der Beklagten und ging in Richtung des Strohlagers, um seine Notdurft zu verrichten. Er hielt sich dabei unmittelbar neben den Strohballen auf dem Bereich einer Bodenplatte auf. Während dessen löste sich ein Strohballen, fiel herab und klemmte den Kläger ein.

Mit der Klage beim Landgericht Erfurt verlangte der Kläger von der Beklagten Erstattung seines materiellen und immateriellen Schadens.

Das Landgericht Erfurt gab der Klage statt (Urteil vom 17.11.2008 Aktenzeichen 3 O 1856/07). Es führte aus, die Beklagte habe bei der Errichtung der Strohballenanlage gegen eine Verkehrssicherungspflicht nach § 823 Abs. 1 BGB verstoßen. Das Gericht stellt sehr ausführlich dar, was man unter Verkehrssicherungspflicht versteht und meint dann: „Vor diesem rechtlichen Hintergrund ist die Beklagte ihrer allgemeinen Pflicht nicht nachgekommen, ihre Strohballenanlage so anzulegen, dass der nicht allzu widmungsferne Verkehr nicht zu Schaden kommt“. Unter nicht allzu widmungsfernem Verkehr versteht das Landgericht den schützenswerten Personenkreis. Hierzu gehören nicht nur die Mitarbeiter der Beklagten, die zum Zweck der Berufsausübung zwangsläufig mit dem Objekt in Berührung kommen, sondern auch der allgemein erlaubte Verkehr, wie z. B. Spaziergänger, Verkehrsteilnehmer, spielende Kinder oder Angehörige ähnlicher Personenkreise und der Verkehrsteilnehmer, der, wie nicht unüblich, in geschützter Lage seine Notdurft verrichten will.

Dagegen wehrt sich die Beklagte mit Erfolg. Sie meint, „man könne hier allenfalls darauf abstellen, inwieweit ein Grundstückseigentümer damit habe rechnen müssen, dass sein Grundstück zu Notdurftverrichtung herangezogen werde. In rechtlicher Hinsicht sei dabei auch von der Kenntnis auszugehen, dass es sich bei der Notdurftverrichtung auf fremder Sache oder fremdem Grundstück grundsätzlich um eine strafbare Handlung handele. Als noch erlaubte Handlung oder jedenfalls nicht rechtswidrig würde man nur solche Notdurftverrichtungen ansehen, die fremde Grundstücke nicht über das unbedingt erforderliche Maß hinaus beeinträchtigen. Dies sei vorliegend nicht gegeben gewesen. Der Kläger wolle sich unmittelbar neben den Strohballen auf dem Bereich der Bodenplatte, wo diese gelagert werden, aufgehalten haben. Dort dominiere das Interesse der Beklagten, sich diesen Vorrats- und Arbeitsbereich nicht durch eine Notdurft verschmutzen zu lassen“.

Das Thüringische Oberlandesgericht änderte das Urteil des Landgerichts Erfurt ab und wies die Klage ab (Urteil vom 10.11.2009 Aktenzeichen 5 U 31/09).

Es begründet die Entscheidung wie folgt:

Entgegen der Auffassung des Erstgerichts ist die Frage, ob vorliegend eine Verkehrs-sicherungspflicht verletzt wurde, nicht an den für die Fälle der Verkehrssicherungspflicht bei Straßenbauarbeiten entwickelten Grundsätzen zu messen. Vielmehr ereignete sich der Vorgang auf einem privaten Grundstück, auf dem der öffentliche Verkehr nicht eröffnet war. Dies ist zu berücksichtigen, um die Frage beurteilen zu können, inwieweit sich die Verkehrssicherungspflicht der Beklagten auf den Kläger erstreckt. Dabei ist zu sehen, dass die Verkehrssicherungspflicht beschränkt ist auf den geschützten Personenkreis. Geschützt sind insofern diejenigen Personen, mit deren Gefährdung der Verkehrssicherungspflichtige üblicherweise hat rechnen müssen, nicht hingegen diejenigen Personen, die sich unbefugt in den Gefahrenkreis begeben haben. Die Verkehrssicherungspflichten reichen daher vorliegend nur soweit, wie der Verkehr auch tatsächlich eröffnet wurden ist“.

Auf den Fall bezogen bedeutet dies:

„Im Gegensatz zu innerörtlichen Baugrundstücken, die Kinder zum Spielen verleiten, kann angesichts der vorliegenden Örtlichkeit gerade nicht von einem häufigen Publikumsverkehr oder ohne Aufsicht spielenden kleineren Kindern ausgegangen werden. Auch musste die Beklagte nicht damit rechnen, dass Autofahrer, die die B7 befahren, ihr Strohlager als Toilette benutzen werden und diese somit auch vor eventuellen Gefahren, die von dem Strohlager ausgehen, zu schützen wären. Dies würde nämlich die Verkehrssicherungspflicht für Eigentümer privater Grundstücke, auf welchen sich in irgendeiner Form Aufbauten befinden, hinter denen man seine Notdurft in vor Blicken der anderen geschützter Weise verrichten kann, in unzumutbarer Weise erweitern und ausdehnen“.

Ich weise ausdrücklich darauf hin, dass es sich bei dieser Darstellung lediglich um Auszüge aus der zitierten Entscheidung handelt. Der mir vorliegende Ausdruck der Entscheidung ist 10 Seiten lang. Ich kann keine Garantie dafür übernehmen, dass die Worte Notdurftverrichtung und unüblicherweise richtig geschrieben sind. Mein Rechtschreibe-prüfungsprogramm kennt diese Worte nicht. Ich habe sie im Urteil so abgeschrieben.

Es ist auch nicht erwiesen, dass der Kläger nach der Lektüre des Urteils zweiter Instanz ein Wort aus der sogenannten Fäkalsprache gebraucht haben soll.


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