Brunftschrei

Der Brunftschrei ist eine Lautäußerung der Rothirsche in der Brunft. Näheres findet man unter https://de.wikipedia.org/wiki/Rothirsch#Brunftrufe

Menschen pflegen oft tierisches Verhalten nachzuahmen. Auch sie geben zum Teil im Zusammenhang mit der Fortpflanzung Geräusche von sich. Und genau das ruft die Justiz auf den Plan. Denn Geräusche scheinen fast immer zu stören, wenn ein gewisser Pegel überschritten ist. Für diesen Pegel im Wohnbereich haben gescheite Juristen den Begriff „Zimmerlautstärke“ erfunden.

Zimmerlautstärke ist gegeben, wenn sie dem Mieter ein befriedigendes Hörerlebnis gestattet und auch noch als normales Wohngeräusch in die Nachbarwohnung dringt. Bei dieser Abgrenzung ist sowohl auf Seiten des Musikhörers als auch des Nachbarn auf die Person eines vernünftigen Mitbewohners abzustellen. Dies bedeutet, dass der Musikempfang nicht einem Konzerterlebnis nahe kommen muss. Allerdings kann auch eine besondere Empfindlichkeit oder Musikfeindlichkeit auf Seite des Nachbarn nicht entscheidend sein. (Landgericht Hamburg 317 T 48/95)

Ist doch klar, oder?

Dies gilt nach Wilhelm Busch sogar für Musik, selbst diese, nämlich die Musik wird störend oft empfunden, weil sie mit Geräusch verbunden.

Deswegen müssen sich Gerichte häufig damit befassen, dass Musik von Nachbarn zu laut gehört wird. Versuchen wir nun, dies anhand eines Falles unter die Definition des Landgerichts Hamburg zu subsumieren.

Fall: Ein jugendlicher Discogänger geht mal früher heim. Er trifft am Sonntag Morgen um 05.30 h in seiner Wohnung ein und stellt seine Dolby-Surround-Anlage auf höchste Lautstärke. Dies entspricht der Geräuschkulisse, in der er die Samstag Nacht zwischen 00.30 h und 05.00 h verlebt hat. Wäre dieses Hörerlebnis nicht für ihn befriedigend, wäre er nicht so lange geblieben. In der Nachbarwohnung wohnt eine Gruppe gleichaltriger Discogänger, für die ist die durch die Trennwand leicht gedämmte Musik zwar relativ leise, aber gerade noch normal.
Was nun?

Es ist auf den vernünftigen Mitbewohner abzustellen: Man muss nicht einem Konzerterlebnis nahe kommen, allerdings kann auch eine besondere Empfindlichkeit oder Musikfeindlichkeit auf Seite des Nachbarn nicht entscheidend sein.
Wissen wir’s jetzt?

Wir haben eine passende Definition gefunden, aber keine Lösung. Oder, in der Mathematik ist 1+1=2, in der Juristerei kommt es auf den Einzelfall an.

Hier hilft, wie bei den meisten Entscheidungen, die allgemeine Lebenserfahrung. Als Angehöriger der so genannten 68ern weiss man, dass Jugendliche nicht vernünftig sind. Wir haben früher gelernt, dass wir unvernünftig waren, weil wir als Jugendliche uns die Haare lang wachsen ließen, wir Lieder der Beatles oder noch schlimmer der Rolling Stones anhörten, wir ausgefranste Jeans trugen, wir Hô Chì Minh rufend durch die Straßen zogen, wir uns aktiv an einer Revolution (wenn auch nur der sexuellen) beteiligten und vieles mehr.

Da also der überwiegende Teil der Jugendlichen nach allgemeiner Lebenserfahrung unvernünftig sein dürfte, dürfte unser Held im Musterfall das zulässige Maß überschritten haben (Als Jurist hat man gelernt, immer unsicher zu sein und deswegen so vorsichtig zu formulieren).

Kommen wir zurück zum Ausgangsthema. Ich konnte zwei Urteile finden, in denen sich die Gerichte mit Lautäußerungen von Mitbewohnern im Zusammenhang mit der Fortpflanzung zu beschäftigen hatten.

Das Amtsgericht Rendsburg verbot in einem Urteil vom 16.12.1994 (Aktenzeichen 18 (11) C 766/94) den Beklagten, die Nachtruhe im Hause nach 22.00 h und vor 06.00 h zu stören, insbesondere durch lautes Gestöhne, Geschreie und Gerede.
Was war geschehen?

Das Gericht warf den Beklagten auf Seite 4 der Entscheidungsgründe vor:

„Die Ausübung des Geschlechtsverkehrs in einer Lautstärke, dass nachts die Mitbewohner des Hauses davon aufwachen, kann nicht mehr zum normalen Mietgebrauch gerechnet werden.“ Auf Seite 5 der Entscheidungsgründe wird als Ursache der Lautstärke „lautes Sex-Gestöhne“ und „lautes Geschrei“ (ohne Sex?) angegeben.

Deutlicher wurde da schon das Amtsgericht Warendorf in einer Entscheidung vom 19.08.1997 (Aktenzeichen 5 C 414/97). Es hat den Beklagten verboten, in ihrer Wohnung im Hause durch Musik, Streitigkeiten und Lustgeräusche beim Sexualverkehr Lärm zu verursachen, welcher Zimmerlautstärke übersteigt und dadurch den Kläger in seiner Wohnung in demselben Haus stört.

Die Entscheidung ist damit begründet, dass die Beklagten durch die jetzt verbotenen Geräuschquellen übermäßigen Lärm verursachten, übermäßig deswegen, weil der Geräuschpegel so hoch war, dass der Kläger und die vernommenen Zeugen davon aufwachten, oft hätten sie mit Oropax schlafen müssen. Auf Seite 5 der Urteilsgründe steht im ersten Absatz: „Auch durch das Stöhnen beim Sexualverkehr und durch hierbei ausgestoßene Yippie-Rufe seien der Kläger und sie wach geworden.“
War das ein Brunftschrei?

Früher gab es einmal einen Song, in dem mitgeteilt wurde, dass Yippie-Yeah der Cowboyschrei ist. Hätte der Songschreiber mitgeteilt, bei welchem Anlass Cowboys diesen Schrei ausstoßen, wären wir etwas weiter. Dieser Schrei ist aber nur von amerikanischen Kuhhirten, genauer US-amerikanischen bekannt, womit diese eventuell nur zum Ausdruck bringen wollen, dass US-Amerikaner wohl auch im Kühe Hüten etwas besonderes sind.
Fazit:

Die Lösung dieser Frage wird den Juristen wohl kaum gelingen. Biologen, bitte meldet Euch.

PS: Auch das in der Nachbarwohnung deutlich hörbare Urinstrahlgeräusch eines Stehpinklers scheint Zimmerlautstärke zu überschreiten, berechtigt es doch zu einer Mietminderung von 10% (LG Berlin 67 S 335/08). Auch Richter ändern gelegentlich ihre Meinung (sie nennen das Rechtsauffassung). Am 12.04.2013 hat das Landgericht Berlin (65 S 159/12) wie schon am 14.01.1997 das Amtsgericht Wuppertal (34 C 262/96) entschieden, dass der Lärm des Stehpinklers keine Mietminderung begründet.


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